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07.05.2025

Kurzgeschichte: "Die Hecke muss weg!"

Beschaulich war es hier immer. Leider ist mit dem Tod der Frau Hedwig das Haus am Waldrand nun leerstehend. Sie hatte immer einen sehr gepflegten Garten, in der die Blümchen, fast mit mathematischer Präzision,

in der Reihe standen. Es war klar, dass ein Anwesen, welches Topp in Schuss ist, nicht lange einen Käufer suchen muss. Gerade wo hier die Preise noch erschwinglich sind. Viel Raum, Natur und Ruhe versprechen dem neuen Besitzer eine gute Zeit.
Nur die Frage überkam die Gemeinde, wer denn da wohl kommen mag und ob das auch passt untereinander. Flugs war tatsächlich ein neuer Besitzer eingezogen. Ab und an sah man das neue Gemeindemitglied im örtlichen Supermarkt, mal in der Pizzeria oder dem Postshop. Etwas skurril, aber man ist ja einiges gewöhnt. Der Mann trug meist einen etwas abgetragenen Blaumann und einen zuselligen Strohhut, der aussah, als hätten Vögel versucht, ihn dem Besitzer vom Kopf zu klauben. Mit dem stacheligen, langen Vollbart, dachten einige, dass er sich gut als Nikolaus oder gar Knecht Rupprecht fürs nächste Fest eignen würde.
Einige Wochen gingen ins Land und es fiel schon auf, dass die Hecke von Herrn Ernst (so hieß er nämlich, wie man im Paketshop herausgefunden hatte) am neuen Heim immer höher und ungepflegter wurde. Man war anderes gewöhnt, da Frau Hedwig in solchen Sachen sehr darauf bedacht war, alles in bestem Zustand zu halten. Naja, das Dorf braucht schließlich auch neue Mitglieder und ein leerstehendes Haus will auch niemand.
Jetzt begab es sich, dass Spaziergänger hinter dem „Sichtschutz“ ein Hämmern und Klopfen erhorchten. Wie ein Schlagen auf Metall. In der Bierstube mutmaßte man auf einen Motorradfahrer.
„Ob das gut geht, wenn die Rocker hier aufschlagen“; meinte einer. Oder; “wenn die mit den schweren Maschienen kommen, ist hier Land unter“, der andere.
Nichts von dem passierte in der nächsten Zeit. Nur weiteres Klopfen und Hämmern.
Da man durch die Hecke wirklich nichts sah und diese unverschämterweise immer dichter wurde, nahmen die Spekulationen nicht ab. Hoch im Kurs war der Bau eines Wintergartens, ein vermuteter Schrottsammler und der Motorradfreak.
Da mittlerweile vier Monate vergangen waren und außer dem Namen und dem Aussehen des Neuankömmlings wenig bekannt war, fasste sich ein Alteingesessener ein Herz und wollte dann doch etwas Genaueres wissen. Nicht nur, dass eventuell der Frieden in Gefahr sein könnte, sondern auch, um sich nicht nachsagen lassen zu müssen, man wäre gegenüber Neuankömmlingen verschlossen.
Mit mutigem Herzen klingelte man also an der wohlbekannten Haustür der verblichenen Frau Hedwig.
„Ja bitte?“, Herr Ernst öffnete die Tür. Sein sonnengebräuntes Gesicht und die Lachfältchen ließen Gutes erahnen.
„Sie sind also der neue Besitzer von dem Schätzchen? Mein Name ist Schoben, ich wohne seit meiner Kindheit im Ortskern. Haben Sie sich gut eingelebt? Wenn Sie Hilfe bei der Gartenarbeit benötigen,
wir haben viele Jugendliche, die sich gerne ihr Taschengeld aufbessern!“
„Das ist nett gemeint“, antwortete Herr Ernst „aber ich war so mit den Vorbereitungen zur nächsten Ausstellung beschäftig, dass die Gartenarbeit liegen geblieben ist. Ja stimmt, das muss von außen mittlerweile scheußlich aussehen“.
„Was stellen Sie denn aus? Etwa Motorräder?“, fragte Herr Schoben, der sich insgeheim erhoffte, mit seinem Tipp auf die Biker Recht zu haben.
„Nein, ich bearbeite Metall zu Skulpturen. Der viele Platz im Garten hier ist optimal, da auch größere Stücke dabei sind. Was halten Sie davon, dass sie etwas Propaganda für mich machen und wir treffen uns nächste Woche auf Bier und Grillwurst?“
Herr Schoben nahm ihn beim Wort und kehrte samstags darauf mit einer kleinen, aber illustren Gruppe ein. Das Staunen war dann doch da, weil die Hecke gekürzt war und nun einen Blick aufs Grundstück freimachte. Und, du glaubst es nicht, dort standen imposante Skulpturen, teils drei Meter hoch. Detailverliebt bearbeitetes Eisen, als ob der Macher sie sanft aus Ton geformt hätte.
Und sie standen dort, als ob sie in die Natur und Umgebung schon immer eingebettet waren. Wie ein Fluss der sich über Jahrtausende natürlich in die Landschaft gefügt hat.
Mit diesem Anblick hatte man jetzt nicht gerechnet.
Herr Ernst öffnete Tür und später Garten und bei Grillwurst und Bier genoss man den Sommerabend und hatte angeregte Gespräche über Kunst, Gott und die Welt.
Nach dem gelungenen Abend wurde die Adresse von Herrn Ernst quasi jedem Urlauber als Attraktion empfohlen und die Dorfgemeinschaft ist froh, dass die Hecke weg ist.

Florian Keppers