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10.06.2024

Aktualisiert zur Europawahl: INPUT-Talk - 10 Fragen an den belgischen EU-Abgeordneten Pascal Arimont - Er hat den Einzug ins Europaparlament wieder geschafft

Nach jahrelanger schriftlicher Zusammenarbeit der Nachrichtenagentur INPUT-Medien mit dem ostbelgischen Europa-Abgeordneten Pascal Arimont (CSP/EVP) kam es nun zu einem ersten Besuch in der INPUT-Redaktion.

Nach der Präsentation der über 40-jährigen grenzüberschreitenden Berichterstattung von INPUT-Medien und ihrer Arbeit für ostbelgische Medien wurde eine Reihe von aktuellen Themen besprochen und diskutiert.
So brachte die aus Ostbelgien stammende Leserin Maria Braus Probleme beim Doppelbesteuerungs-Abkommen, Geo-Blocking auf dem Mediensektor, die ärztliche Versorgung deutscher Patienten in Belgien, den kritischen Zustand der seinerzeit mit hohem Aufwand restaurierten Kapelle im Grenzort Krewinkel (Gemeinde Büllingen) sowie allgemeine Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in die Diskussion ein.
Pascal Arimont sagte bei Fragen in seinem Aufgabenbereich Unterstützung zu, wies aber im Einzelfall auf die dicken Bretter hin, die immer wieder noch gebohrt werden müssten. 

INPUT: Was hat Sie motiviert, Ihren Beruf des Rechtsanwaltes zu unterbrechen und in die Politik zu gehen?

MdEP Pascal Arimont: Seit ich denken kann, bin ich politisch interessiert. Irgendwann stellt sich jedem die Frage: Soll ich nur drüber reden, oder versuche ich selbst, die Gesellschaft, in der wir leben, mitzugestalten? Ich habe mich dafür entschieden etwas zu tun und bin dann recht jung in meine Partei eingetreten. Bereits nach meinem ersten Studium der Altphilologie habe ich ein Europastudium abgeschlossen und auch für den damaligen ostbelgischen EU-Abgeordneten Mathieu Grosch gearbeitet – parallel zu meinem damaligen Jurastudium. Politik war also immer da. Der Beruf als Anwalt war mir in diesem Rahmen immer für meine Unabhängigkeit wichtig.

INPUT: Warum haben Sie sich ausgerechnet für die Europapolitik entschieden?

MdEP Pascal Arimont: Bereits in jungen Jahren habe ich mich intensiv mit Europa beschäftigt – im Rahmen meines Europastudiums und auch als Mitarbeiter im EU-Parlament vor meiner Tätigkeit als Anwalt. Als Einwohner einer Grenzregion ist Europa sowieso immer da. Ich habe miterleben können, wie in den vergangenen Jahrzehnten das Leben für die Menschen an der Grenze besser geworden ist und wie sich gemeinsame Lebensregionen entwickelt haben.
Die Faszination für Europa ist darüber hinaus dadurch begründet, dass ich Europa in ganz vielen Fragen als die Antwort empfinde. Kleine Staaten wie Belgien können in einer multipolaren Welt der großen Machtblöcke immer weniger beeinflussen. Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit und Kooperation in der EU.

INPUT: Welche Aufgaben und Herausforderungen haben Sie als ostbelgischer EU-Abgeordneter besonders vor Augen?

MdEP Pascal Arimont:  Erst einmal geht es mir darum, die ländlichen Regionen in der EU zu repräsentieren. Viele Rechtstexte sind zu Beginn für die Menschen geschrieben, die in Großstädten oder Ballungsräumen leben. Wir leben hier aber anders als in Großstädten, in denen alles vorhanden und nah ist. Als Beispiel kann man die E-Mobilität nennen. Wer in der Stadt keinen Verbrenner mehr fahren darf und sich kein E-Auto leisten kann, der nimmt den Bus oder die U-Bahn. Wer dies auf dem Land tun muss, ist aufgeschmissen. Rund 30 Prozent der Menschen in Europa leben auf dem Land. Sie zu vergessen, wäre fatal.
Ebenfalls ist mir unsere Wettbewerbsfähigkeit und Eigenständigkeit wichtig. Unsere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind das Rückgrat unseres wirtschaftlichen Erfolgs und schaffen über 100 Millionen Arbeitsplätze. Damit sie florieren können, brauchen sie in der gesamten EU gleiche Wettbewerbsbedingungen. In Zeiten eines enormen Fachkräftemangels ist es ebenfalls elementar, dass möglichst viele Menschen in Arbeit sind und in Arbeit kommen. Das Leistungsprinzip in Unternehmen und in unserer Gesellschaft ist der Motor der sozialen Marktwirtschaft. Die Maxime „Arbeit muss sich wieder lohnen“ ist in diesem Zusammenhang gültiger denn je und muss sich in europäischen, belgischen oder ostbelgischen Rechtsrahmen konsequenter niederschlagen. Ebenfalls müssen wir in punkto Energie weniger abhängig von externen Quellen werden und hier in Europa für eine kostengünstige Energieversorgung sorgen.
Dann geht es mir natürlich auch besonders um die Grenzbewohner an sich. Täglich passieren insgesamt mehr als 10.000 Menschen aus Ostbelgien für ihre Arbeit die Grenzen. Ich habe mir es zur Aufgabe gemacht, Sprachrohr für die Menschen zu sein, die in Ostbelgien mit Problemen konfrontiert sind, weil sie direkt neben einer Grenze wohnen oder in einem benachbarten Land arbeiten.

INPUT: Wie werden augenblicklich die EU-Fördergelder auf die Euregio Maas-Rhein, die Großregion Saar-Lor-Lux und die DG aufgeteilt?

MdEP Pascal Arimont:  Die Deutschsprachige Gemeinschaft hat in den letzten Jahren gemeinsam mit Partnern aus den Nachbarländern zahlreiche grenzüberschreitende Projekte im Rahmen von INTERREG verwirklichen können. All diese Projekte haben das Ziel, den Alltag der Menschen in Grenzgebieten zu vereinfachen und lebenswerter zu gestalten. Als Beispiel kann hier der RAVeL-Rad-und-Wanderweg, die Kooperation von Polizeidiensten oder die Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern Sankt Vith und Prüm genannt werden. Als Verhandlungsführer des EU-Parlaments war ich für die Vergabekriterien dieses Programms in Bezug auf die aktuelle Förderperiode verantwortlich. Als Partnerregion in der Euregio Maas-Rhein und der Großregion ist die Deutschsprachige Gemeinschaft an gleich zwei INTERREG-Programmen beteiligt. In den vergangenen Jahren sind dadurch rund 50 Millionen Euro nach Ostbelgien geflossen. Wir profitieren also sehr stark von diesem Mittel der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Was die Verteilung der Mittel angeht, sind für den Zeitraum 2021-2027 für den Raum Euregio Maas-Rhein 125 Millionen Euro und für die Großregion 182 Millionen Euro aus dem EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) für grenzüberschreitende Projekte vorgesehen. Die Finanzierung erfolgt immer auf Projektbasis. Das bedeutet, dass es für ein Projekt verschiedene Partner aus den beteiligten Ländern braucht, die ein gemeinsames Projekt einreichen, das dann bewilligt und finanziert werden muss. Hierfür legt jede Entität im Rahmen der allgemeinen europäischen Vorgaben ihre Schwerpunkte fest. In der Euregio Maas-Rhein werden Projekte bis zu 50 Prozent mit EFRE-Mitteln kofinanziert, in der Großregion mit bis zu 60 Prozent.

INPUT: Ein Mitarbeiter des deutschen AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah wird ja der Spionage verdächtigt. Ist das ein Einzelfall, oder gibt es Anhaltspunkte für weitere Vorfälle?

MdEP Pascal Arimont:  Es ist empörend, dass gerade die selbst ernannten Patrioten die Interessen unserer Heimat offenbar so wenig achten, dass sie die Einmischung von feindlich gesinnten Mächten zulassen. Das ist tatsächlich eine große Gefahr für Europa, denn Russland und China führen heute bereits hybride Kriege gegen unsere EU-Mitgliedstaaten – z.B. durch gezielte Hackerangriffe auf unsere Institutionen. Ein naiver Umgang mit diesen Mächten ist also völlig inakzeptabel. Ob dies ein Einzelfall ist, wage ich zu bezweifeln, da viele Parteien insbesondere aus dem rechtsextremen Spektrum über unterschiedliche Kanäle z.B. durch Russland unterstützt werden. Hier ist das gemeinsame Ziel, die EU zu schwächen. Diese Machenschaften müssen lückenlos aufgeklärt werden.

INPUT:  Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Europa für die kommenden Jahre

MdEP Pascal Arimont:  Die große Herausforderung für unseren Kontinent in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird es sein, unsere Relevanz auf der weltpolitischen Bühne zu bewahren. Die 27 Mitgliedstaaten der EU bilden heute einen Anteil von 5,6 Prozent der Weltbevölkerung. Aktuellen Berechnungen zufolge werden wir Europäer im Jahre 2050 nur noch 4,5 Prozent der Bevölkerung einer Welt stellen, in der alleine in Indien 1,7 und in China 1,3 Milliarden Menschen leben werden. Auch in Bezug auf die Wirtschaftskraft sinkt unser Anteil von heute rund 15 Prozent auf einen Wert, der voraussichtlich im Jahr 2050 unter zehn Prozent liegen wird. Die Wachstumszentren verschieben sich und der Einfluss der EU nimmt ab. Darum wird es darauf ankommen, viel stärker als bisher als Einheit zu funktionieren, insbesondere was die Bereiche der Wettbewerbsfähigkeit, der Energieversorgung oder der Verteidigung angeht. Zum andern müssen wir unabhängiger in einigen strategischen Bereichen werden.
Das ist also genau das Gegenteil von dem, was von rechts behauptet wird, nämlich dass als isolierter Nationalstaat alles einfacher wird. Dass das ein Trugschluss ist, lässt sich aktuell in Großbritannien beobachten.

INPUT: Was ist zu tun, wenn immer mehr Länder in Europa nach rechts abrutschen.

MdEP Pascal Arimont:  Die Frage des Rechtsrucks in vielen europäischen Ländern ist natürlich eine Herausforderung. Demokratie ist nichts Selbstverständliches. Wir müssen jeden Tag darum kämpfen. Allerdings bieten die EU und die in ihren Verträgen und der Charta der Menschenrechte festgeschriebenen Regeln einen guten Schutz vor der Aushebelung rechtsstaatlicher Prinzipien.

INPUT:  Wie beurteilen Sie die Chancen, dass nach Beendigung des Krieges die Ukraine Mitglied in der EU wird?

MdEP Pascal Arimont:  Die EU muss die Ukraine unterstützen, das ist für mich ganz klar. Wenn die Ukraine den Krieg verlieren sollte, wird sich die Sicherheitslage in ganz Europa verschlechtern. Darum kommt es jetzt darauf an, die Ukrainer wehrhaft zu halten.
Was den Beitritt der Ukraine zur EU angeht, kann dies nicht über Nacht geschehen. Die europäische Perspektive ist für das Land wichtig, allerdings müssen viele Bedingungen erfüllt sein, bis dies tatsächlich möglich ist. Das ist ein langwieriges, mehrstufiges Verfahren und bedeutet für das Land, dass ihm noch ein langer Weg bevorsteht.
Jetzt muss erstmals die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine im Zentrum stehen, damit der Krieg gegen Russland nicht verloren geht.

INPUT:   Der SPD-EU-Abgeordnete Matthias Ecke wurde ja in Dresden und andere Politiker in der Bundesrepublik sowie in weiteren Mitgliedsstaaten tätlich angegriffen. Haben Sie in Ihrer politischen Tätigkeit auch Angriffe gegen Ihre Person erlebt?

MdEP Pascal Arimont:  Diese Tat hat mich erschüttert. Ich kenne Matthias Ecke persönlich aus der gemeinsamen Arbeit innerhalb des Ausschusses für Regionalpolitik, in dem ich Vize-Vorsitzender bin. Es kann nicht sein, dass sich engagierte Politiker wie er nicht mehr auf die Straße trauen können, ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen. Hier ist eine Atmosphäre gegenüber der Politik entstanden, die nicht akzeptabel und für unsere Demokratie insgesamt sehr gefährlich ist. Diesen Feinden der Demokratie müssen wir ganz klar die Grenzen aufzeigen.
Auch ich habe in dieser Legislaturperiode verschiedene Angriffe auf mein Haus in einer belgischen Eifelgemeinde mit einem Molotow-Cocktail und Schmierereien erleben müssen, die beängstigend und verstörend waren. Ich musste sogar polizeilich geschützt werden und konnte längere Zeit das Haus nicht verlassen.
Hilfreich ist in diesen Momenten die große Welle der Unterstützung und Solidarität, die man zum Glück immer noch erfährt. Allerdings ist das mittlerweile ganz klar eine Schattenseite für jeden, der sich politisch engagiert – egal auf welcher Ebene. Der Ton ist eindeutig rauer geworden.


INPUT:   Wo könnte die grenzübergreifende Zusammenarbeit Ostbelgien – Rheinland-Pfalz – NRW noch vertieft werden?

MdEP Pascal Arimont:  Die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen den Regionen innerhalb der Euregio Maas-Rhein und der Großregion sind heute bereits hervorragend aufgestellt, was ich immer wieder bemerke, wenn es darum geht, neue grenzüberschreitende Projekte auf den Weg zu bringen. Die verschiedenen Entscheidungsträger kennen sich oftmals schon sehr gut, was die Zusammenarbeit immer leichter macht. Gerade in der Corona-Zeit hat uns das sehr geholfen.
Probleme sehe ich unter anderem noch in dem Bereich der gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen Qualifikationsabschlüsse. Hier werden durch die Nationalstaaten immer noch große Hürden auferlegt, wenn es darum geht, seine Berufsausbildung in dem Nachbarland anerkennen zu lassen. Hier sehe ich Verbesserungsbedarf insbesondere zwischen Belgien und Deutschland. Mir schwebt diesbezüglich eine automatische Anerkennung vor, wie wir sie innerhalb des Benelux-Raumes bereits erreichen konnten. Durch die alleinige Zuständigkeit der Nationalstaaten für diese Bildungsbelange ist das allerdings kein einfaches Vorhaben. Das ist ein dickes Brett, das es zu bohren gilt.

Das Interview führte Heinz-Günter Boßmann

 
Fotos Heinz-Günter Boßmann: MdEP Pascal Arimont vor der Redaktion - im Hintergrund die Basilika von Prüm

 
Alle Wege führen nach Eupen und St. Vith

 
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