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01.05.2024

Leserserie: 5 Jahre Skulpturenweg Welchenhausen: 3. Eine Brücke zum Besitzen - de Brug

Leserserie: 5 Jahre Skulpturenweg Welchenhausen: 3. Eine Brücke zum Besitzen - de Brug


Foto Harald Deilmann: "De Brug" - eine Brücke, die Welten verbindet und wo Menschen zusammenkommen

Patrick Crombé wurde in Schaarbeek geboren und wuchs in Sint Pieters Woluwe auf. Beides liegt in der Region Brüssel. Wollewei, wie er es nennt, war damals noch ein flämisches Dorf, Patrick Crombés Muttersprache flämisch,
seine Familie eine alteingesessene Steinmetzdynastie und seine „Wiege befand sich zwischen Marmor und Blaustein“, wie er schreibt.
Der Weg als Künstler war alles andere als vorgezeichnet. Als er zufällig mehrere Kunstpreise beim Frühlingsfest des Sint Jozef College gewann, gab ihm dies das Selbstvertrauen und den Mut, sich auf der Abendschule anzumelden. Sein Talent wurde gefördert und er konnte auch die Kunstakademie in Brüssel abschließen. Er gewann Preise und Stipendien.
Für Patrick Crombé ist „eine Brücke die Verbindung zwischen zwei getrennten Welten“. Damit kannte er sich aus. Der Sprachgegensatz zwischen dem frankophonen Brüssel und den flämischen Dörfern des Umlands; der Hochmut der Brüsseler gegenüber den flämischen Bauern, die ihre Produkte in die Stadt brachten; der soziale Gegensatz zwischen der Großstadt und den Dörfern; der Gegensatz zwischen Steinmetz-Handwerk und akademischer Bildhauerei; der Gegensatz zwischen der Begrenztheit des Dorflebens und dem eigenen kosmopolitischen Leben als Künstler. Mit all diesen Gegensätzen lebte Patrick Crombé.
So schuf er beim Internationalen Bildhauersymposium in Welchenhausen eine Brücke, flämisch Brug. Sie steht erhöht am Waldrand neben der Straße von Stupbach nach Welchenhausen und kann leicht übersehen werden. Die Skulptur hat einen eleganten Bogen, ähnlich wie alte venezianische Brücken. Das rechte Widerlager macht einen massiven Eindruck, das linke wirkt zierlich elegant. Der Brückenbogen überspannt einen leeren Raum, wie es sich für eine Brücke gehört. Aber diese Brücke verbindet nichts, schon gar keine „getrennten Welten“. Oder doch?
Der Künstler hat uns noch eine andere Vorstellung von der Funktion einer Brücke mitgegeben: „Sie gibt uns die Möglichkeit zusammenzutreffen.“ Deshalb schlägt er selbst vor, sie als Bank zu nutzen, „um während eines Spaziergangs eine Weile auszuruhen.“
Ganz bequem sitzt man nicht, aber man kann zur Ruhe kommen. Es passiert hier fast nichts, es ist still.
Wer auf Patrick Crombés Brücke verweilt hört das Rauschen der Blätter im Wind, vielleicht raschelndes Laub, wenn gerade ein Tier in der Nähe ist.
Der Blick schweift über die Flussaue der Our. Flache Wiesen sind es hier und drüben, auf der belgischen Seite ein Steilufer. Gibt es eine Grenze? Man bemerkt sie nicht.
Man kann auch an den Künstler denken, der früh verstorben ist. Zwei Jahre nachdem er die Brücke schuf.
So treffen sich auf dieser Brücke doch getrennte Welten. Mensch und Natur, Wiesen und Felsen, Deutschland und Belgien, Lebende und Tote. Nicht real, aber in uns.

Harald Deilmann



Leserserie: 5 Jahre Skulpturenweg Welchenhausen: 2. Getrennte Verbundenheit - der Brückenschlag

 

Foto Harald Deilmann: "Brückenschlag" heißt die Doppelskulptur von Christoph Mancke, diesseits und jenseits der Our aufgestellt 

Christoph Mancke hat seine Doppelskulptur „Brückenschlag“ beiderseits des Grenzflusses Our platziert. Am deutschen Ufer fällt zuerst ein mächtiger Sandsteinblock mit figurativem Ausschnitt auf. Man mag darin vielleicht die Abstraktion eines Wanderers sehen, vielleicht auch eine Art von Tor, vielleicht fehlt auch nur etwas. Erhellend ist der Blick durch den Ausschnitt des Blocks.
Auf dem gegenüberliegenden Hang, schon in Belgien, erregt eine Stahlskulptur Aufmerksamkeit. Sie füllt die „Fehlstelle“ des Sandsteins aus und übernimmt genau ihre Form. Diese Blickachse avancierte, vom Künstler durchaus beabsichtigt, zum beliebtesten Fotomotiv der Skulptur.
Der kleine Fluss Our bildet hier erst seit knapp einhundert Jahren als Folge des I. Weltkriegs die Grenze zwischen dem Königreich Belgien und Deutschland. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sich die staatliche Herrschaft über diese Region häufig verändert. Auf der jetzt belgischen Seite liegen frankophone und germanophone, also französischsprachige und deutschsprachige Dörfer verstreut in der Landschaft. Auch innerhalb der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) gibt es frankophone Dörfer. Und in der frankophonen Wallonie gibt es auch deutschsprachige Dörfer. Die Gemengelage mutet ein wenig an wie mittelalterlicher Streubesitz.
Das führte 1925 zu einer umstrittenen Eingliederung in den belgischen Staat. Nach der Nazidiktatur und der vorübergehenden Annexion gehören die sogenannten Ostkantone wieder zu Belgien. 1956 wurde der Grenzverlauf endgültig völkerrechtlich geregelt.
Die deutschsprachige Bevölkerung litt aber auch danach noch unter der belgischen Sprachpolitik und Assimilierungsversuchen. Erst 1963 wurde das deutsche Sprachgebiet in Belgien offiziell anerkannt. Seitdem bemühen sich alle Seiten um einen Interessensausgleich und gegenseitige Rücksichtnahme.
Der mächtige Sandsteinblock erinnert an die Übermacht Deutschlands, unter der das neutrale Belgien in zwei Weltkriegen zu leiden hatte. Die Skulptur auf dem belgischen Ufer nimmt sich dagegen recht zierlich aus, das kleine Ostbelgien.
Auch wenn beide Teile der Doppelskulptur so unterschiedlich sind, erinnert die Formensprache an die grundlegenden Gemeinsamkeiten. Unterhalb der Ebene der „großen“ Politik bestanden zu allen Zeiten viele Verwandtschaften und enge Freundschaften. Bäuerlicher Grundbesitz musste bearbeitet werden, egal ob diesseits oder jenseits der Grenze gelegen. Auch bei der Wahl des Arbeitsplatzes spielte die Grenze keine Rolle. Die Erschwernisse durch teils kleinliche Kontrollen umgingen die Betroffenen möglichst mit sportlichem Ehrgeiz und genauer Ortskenntnis.
Grundlage dieser grenzüberschreitenden Verbundenheit ist immer noch die gemeinsame Sprache, dieser spezielle Dialekt, mit dem man sich verständigt, an dem man sich erkennt und durch den man sich zusammengehörig fühlt.
Die weißen Flecken auf der Stahlskulptur zeugen nicht von einer Abnutzung der Gemeinsamkeiten, es sind die Spuren eines Reihers, der sich eh nicht an Grenzen hält.

Harald Deilmann


Leserserie: 5 Jahre Skulpturenweg Welchenhausen: 1. Michelangelo an der Our - der Dreiländereck-David


Foto Harald Deilmann: Der Dreiländereck-David an der Our in Stoubach

Der Dreiländereck-David von Susanne Paucker steht an der Ourbrücke zwischen Stoubach (Gemeinde Burg Reuland) und Stupbach (Eifelkreis) auf der belgischen Seite. Der Name der beiden Dörfer erinnert daran, dass diese Grenze nicht immer bestand. Das Gebiet war jahrhundertelang umstritten und die staatliche Herrschaft wechselte häufig. Die aktuelle Grenze basiert auf dem Versailler Friedensvertrag nach dem I. Weltkrieg und einer umstrittenen Volksabstimmung von 1920. Heute nach knapp einhundert Jahren bemerkt man die Grenze kaum noch.
Der Bezug des Kunstwerks auf die drei Länder Belgien, Deutschland und Luxemburg wird offensichtlich durch die drei Farben des Sandsteins. Die enge puzzleartige Verbindung erklärt sich durch die Europäische Union in der die drei Länder miteinander verbunden sind. Aber welche Verbindung besteht zu einem Kunstwerk, das vor über einem halben Jahrtausend in Florenz entstand? Michelangelo, der Künstler ist immerhin berühmt.
Eine Beziehung bringt die Künstlerin selbst ein. Sie lebt zeitweise bei Florenz und machte ihr Diplom an der Akademie der schönen Künste in Carrara. Dies ist der Ort mit den weltberühmten Marmorsteinbrüchen. Hier wurde auch der Block gebrochen, aus dem Michelangelo von 1501 bis 1504 seine Statue des David schlug. Die Künstler der Renaissance orientierten sich an der Menschendarstellung der Griechen und Römer in der Antike. Ursprünglich war Michelangelos Werk für den Dom bestimmt, doch der nackte Jüngling, den er schuf, kam für eine Kirche nicht mehr infrage.
Der biblische David wurde meistens nach seinem Sieg über Goliath dargestellt. Anders Michelangelo, er zeigt David vor dem Kampf. Lässig steht er da, die vorbereitete Steinschleuder über der Schulter. Nur die Halssehnen, die gerunzelte Stirn und der angespannte Gesichtsausdruck zeigen seine Bereitschaft zum Kampf. Wer ist der unsichtbare Gegner?
Die Florentiner hatten gerade zehn Jahre zuvor die Herrschaft der Familie Medici abgeschüttelt und eine Republik gegründet, die Selbstregierung der Bürger. Sie sahen in Michelangelos David den kampfbereiten Verteidiger der Republik und ein Symbol von Freiheit und Bürgerstolz. Deshalb wurde er vor dem Rathaus aufgestellt. Als die Familie Medici ein viertel Jahrhundert später die Herrschaft wieder eroberte war der David so sehr zu einem Symbol der Stadt Florenz geworden, dass sie ihn nicht antastete.
Susanne Paucker sieht den David „als Symbol von Freiheit, Stärke und ein Idealbild der Menschheit“. Ihre Skulptur kopiert Michelangelo nicht, sie zitiert und verfremdet das Vorbild. Auch sie verwendet regionales Gestein, nämlich Eifeler Sandstein. Der Dreiländereck-David „soll die Zusammengehörigkeit und den Zusammenhalt der Region … und ihrer Menschen verdeutlichen.“ Dazu gehört auch die Demokratie in unseren Ländern, darauf sollten wir Bürger stolz sein.

Harald Deilmann