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18.09.2023

Auf besonderen Wunsch: INPUT-Leserwettbewerb "Wer schreibt die interessanteste und spannendste Kurzgeschichte?" - 1. Preis "Spektakuläre Flucht"

    
Archivfotos privat: Mein Mann Norbert und ich 

Spektakuläre Flucht - 1. Preis

„Ganz einfach“, die Liebe hat mich nach Hamburg und auch immer wieder in die Eifel geführt. Im Jahr 1976 - da war ich noch Medizinstudentin in Ost-Berlin an der Humboldt-Universität - habe ich meinen späteren Mann Norbert aus der Eifel und zu dieser Zeit Student in West-Berlin, auf einem FDJ-Ball im neu eröffneten Palast der Republik kennengelernt. Schnell war klar, wir wollen zusammenbleiben und haben viele Jahre immer wieder nach verschiedenen Fluchtmöglichkeiten gesucht und „geprüft“. Dann ergab sich der glückliche Umstand 1984! Meine Mutter bekam über ihre Arbeitsstelle, das Außenministerium, eine der heiß begehrten Kuba-Reisen und ich durfte mit. Inzwischen hatte mein Mann rausgefunden, dass die damaligen Interflug-Flugzeuge auf Neufundland in Kanada einen technischen Zwischenstopp zum Nachtanken einlegen und dazu alle Passagiere das Flugzeug verlassen mussten. Auf dem Fußweg zwischen Flugzeug und Transitgebäude habe ich meine Beine in die Hand genommen und bin zur Kanadischen Polizei gerannt, wo mich dann auch mein Mann schon erwartet hatte.
Das klingt jetzt ziemlich banal. Das bedeutete aber für mich, acht Jahre einen „Westfreund“ vor der Familie und Kollegen zu verheimlichen. Immerhin war mein Vater der „Vordenker“ der SED. So ein „Westfreund“, das war im Überwachungsstaat DDR immer gefährlich. Für meinen damaligen Freund und heutigen Mann bedeutete es, bei den vielen Einreisen nach Ost-Berlin jegliches Erkennen einer Verbindung zu mir zu verhindern. Kritische Situationen wie Polizeikontrollen waren dennoch nicht zu vermeiden, aber immer mit gutem Ausgang ohne „aufzufliegen“.

Eva Reinhold-Keller



Archiv INPUT-Medien: Die Blumen in ihrem Garten gaben Kraft und Hoffnung

Am Arsch der Welt - 2. Preis

Ich fuhr fast jeden Tag an diesem Ort vorbei. Ein kleines Örtchen in der Eifel. Viele Seelen hat es nicht. Nur eins fiel mir ab Frühling besonders oft auf. Eine Frau, die fleißig in ihrem Garten arbeitete und die Blumenpracht pflegte. Nur eines fand ich schon etwas obszön, nämlich dass ich meist nur das Hinterteil zu Gesicht bekam, wobei der Oberkörper durch die Neigung nicht zu sehen war. Also hatte ich nun nicht einmal ein Gesicht zur Gartenfee.
Nach einem Winter sah ich die Frau nicht mehr. Ein paar Mal fuhr ich vorbei, doch das Hinterteil wart nicht mehr gesehen. So kam ich auf die Idee, einmal anzufragen, was denn passiert ist. Die Tochter öffnete mir die Tür und ich stand mit meiner Frage nach der Gärtnerin wohl etwas dumm da. Sie antwortete mir, dass ihre Mutter nach langer Krankheit gestorben sei.
Der Garten sei ihr Ein und Alles gewesen. Sie war verdrossen nach einem langen Leben voller Mühsal und Schicksalsschlägen. Viele Zeitgenossen seien nicht gut zu ihr gewesen.
Die Blumen gaben ihr Kraft und Hoffnung.
Sie sagte immer, dass Blumen so dankbar sind. Ein bisschen Regen, gute Erde und Sonnenschein. So anspruchslos in Anbetracht ihrer Schönheit.

Ich fuhr nach Hause und grübelte lange. Über das Leben, die Menschen und den Garten. Im darauffolgenden Frühling, der Frost war verschwunden, klingelte ich nochmals bei der Tochter.
Ich sagte, dass ich gerne bei der Gartenarbeit helfen würde, da es gesund ist und ich gesehen hätte, dass viel zu tun ist. Sie freute sich, weil sie alleinstehend war und das Erbe allein schwer zu unterhalten sei.
So machte ich mich an die Arbeit. Und nach und nach, es hatte viel gewuchert, gelang es mir zu entdecken, welch grandiose Vielfalt an Gewächsen die alte Dame verwurzelt hatte.
Bis heute bestelle ich den Garten und freue mich jede Saison, wie prachtvoll alles blüht.
Und so werkel ich vor mich hin, nach vorn hinuntergebückt, mit voller Hingabe....
Vielleicht denkt der ein oder andere, der vorbeifährt, drüber nach, wie ich damals, warum man nur den Hintern sieht.

Florian Keppers, Kyllburg



Foto Heinz-Günter Boßmann: Die Kurzgeschichte über das belgische Jägerhaus bekam den 3. Preis beim input-Leserwettbewerb (Preisüberreichung folgt)

Das Jägerhaus  - 3. Preis

Einsam inmitten von Wäldern liegt zwischen der deutschen Gemeinde Lützkampen (Eifelkreis) und der belgischen Gemeinde Burg Reuland ein Haus. Eine kleine Straße führt daran vorbei. „Zum Jägerhaus“, die alte Leuchtreklame weist ein Wirtshaus aus. Ein ehemaliges Wirtshaus. Innen ist alles wie früher: Der Schankraum, der Tresen, etwas angestaubt, wie in einen Dornröschen-Schlaf gefallen.
Über viele Jahrzehnte war dieser Ort beliebt, hier tobte das Leben. Viele, heute ältere Menschen schwelgen in Erinnerungen, wenn sie „Diepert“ hören. „Zum Jägerhaus“, damals ein Treffpunkt, ein Treffpunkt von Belgiern und Deutschen. Man sprach dieselbe Sprache, aber durch das Haus, später neben dem Haus, verlief die Grenze.
Heute weist nur ein Straßenschild auf diese Staatsgrenze hin. Sie ist kaum sichtbar, kaum beachtet und praktisch unbewacht. Nur das andere Design der Straßenpfosten gibt einen Hinweis.
Das Wirtshaus ist verwaist, hier wohnen noch Peter Schröder und sein Bruder. Seit Generationen lebt die Familie hier, mal als Preußen, mal als Deutsche dann im geteilten Haus und endgültig als Belgier.
Das Jägerhaus in Diepert ist eine kleine Welt und war doch betroffen von der „großen“ Politik. Die wollte Ordnung, also wurde die Grenze verlegt. Darüber bestimmt haben 1926 aber die „Kleinen“, die Schröders.
Das "Jägerhaus" in Diepert hat die niederländische Künstlerin Mimi von Bindsbergen in einem Kurzfilm und in Malereien und Radierungen festgehalten. Von den weitläufigen Wäldern, die Diepert umschließen, deutscher Wald, belgischer Wald - Wald eben - davon hat sie eigene künstlerische Vorstellungen. Sie malt Baumstämme, undurchdringlich ineinandergreifend, Wurzelwerk, Urwald. Durch kraftvolle Farben entlockt sie dem dunklen Wald eine geheimnisvolle Stimmung.

Harald Deilmann (Schriftführer des Museumsvereins wArtehalle), die niederländische Künstlerin Mimi van Bindsbergen und Peter Schröder haben den 3. Preis des INPUT-Kurzgeschichtenwettbewerbs gewonnen.

Peter Schröder erzählt (Kurzfilm außer Konkurrenz)
Das Jägerhaus auf der Diepert:

https://www.youtube.com/watch?v=V5Jmk0nxJyA



Foto Ralf Meier: Mit Rollator-Kennzeichen und fröhlichem Auftreten in seiner neuen Heimat angekommen

"Ein Rollator mit Amtlichem Kennzeichen" von Ralf Meier aus Kall (außer Konkurrenz)

Im Oktober 2022 ist mein Vater von Berlingen bei Gerolstein nach Schleiden-Gemünd ins Pflegeheim umgezogen. Im Dezember hatte ich seinen Wohnsitz umgemeldet. Als ich ihm dann seinen Personalausweis mit der neuen Adresse brachte, hatte ich ihm aus Spaß ein Nummernschild an seinem Rollator befestigt, welches ich zuvor ausgedruckt und in Folie eingeschweißt hatte. Ich dachte, er macht das spätestens in ein oder zwei Tagen wieder ab. Stattdessen hat er den Leuten erzählt, dass man ab 01. Januar seinen Rollator anmelden müsse, wenn er große Räder hat und man damit auf die Straße möchte.
Mittlerweile hat er ein echtes Blechschild und immer noch Spaß daran. Das Gute daran ist aber, dass er mit dem auffälligen Rollator und seinem offenen und fröhlichen Auftreten überall wiedererkannt wird. Egal wo er hinkommt, er wird immer direkt mit seinem Namen angesprochen. Das ist beinahe so, als ob er schon immer in seiner neuen Heimat gelebt hätte.




Leserfoto Vor dem Brandenburger Tor

Berlin, Berlin (außer Konkurrenz)
Mein Stuhl ist nach hinten gekippt, meine Füße liegen hoch. Ich starre hinunter von meiner Dachterrasse auf die blinkenden Lichter. Ahh! Diese wunderschöne Stadt, mein Zuhause. Berlin, Baby!
Bis man in Berlin ist, hat man noch nicht richtig gelebt. Die Musik, die Kultur und natürlich das Essen! Alles, wovon man jemals träumen könnte.
Der Geruch von Currywurst und Autoabgasen hängt in der Luft. Diesen Duft habe ich gelernt zu lieben. Seit den paar Monaten, die ich hier schon als Studentin lebe, habe ich ihn tagein tagaus gerochen. Permanent meiner DNA hinzugefügt. Ich werde niemals mehr dieselbe sein: Berlin hat mich verdorben.
Mein Radio plärrt in die Nacht hinein. Lieder von Hoffnung und Glück füllen die Luft. Es ertönt die Stimme vom Radiosprecher: „Meine Damen und Herren, liebe Nachteulen, Willkommen zur Freitagabendshow! Heute spielen wir euch ein ganz besonderes Lied aus den 1920’ern. Seid ihr bereit? Los geht‘s auf eine magische Reise zurück in diese fantastische Zeit. Meine Damen und Herren, jetzt kommt ‚Mein kleiner grüner Kaktus‘ von den Comedian Harmonists.“ Die Musik fängt an. Die gute Stimmung und der witzige Text begeistern mich. Mit einem Lachen auf den Lippen stehe ich auf. Ich kann nicht anders als mitsingen.
„OooUAhhhhhhhh!“, mein Schienbein kracht gegen einen Blumentopf. Stolpernd falle ich nach vorne. Ich greife zum Geländer, doch meine Hand rutscht vorbei und ich pralle auf den Boden. Dunkelheit.
Langsam öffnen sich meine Augen. Ich liege immer noch auf meiner Terrasse. Kurz sammele ich mich und versuche, hoch zu kommen. Mein Kopf pocht und eine Beule dekoriert meine Stirn. Meine Beine wackeln, als ich mich hochziehe, und ich muss mich an der Wand abstützen. Schnell prüfe ich noch, ob alles dran ist. Finger, check. Arme, check. Beine, check, check, check. Gut, die wichtigsten Körperteile sind noch dran! Zum Glück!
Ich besinne mich und gehe, stolpernd durch die Terrassentür, wieder hinein. Es ist zu dunkel, um das Zimmer zu erkennen. Irgendwie fühlt es sich aber anders als zuvor. Ich gehe rüber zur Wand, zum Lichtschalter. Ein dünnes, dunkles Licht flackert von der Deckenlampe. Schatten tanzen über die Wand. Zwei große Bauhausstil-Sessel stehen im Raum, ein kleiner Kaffeetisch zwischen Ihnen. Übertriebene Blumenmuster dekorieren die Zimmerwände. Wo bin ich überhaupt?
Verdutzt laufe ich aus der Wohnung und auf die gepflasterte Straße. Ein beißender Geruch umhüllt mich. Alles ist voller Matsch und Pferdeäpfel. Auf der Straße fahren riesige Kutschen. Ihre eleganten Holzrahmen glitzern im leichten Nieselregen.
Ich schaue hinter mich und sehe einen großen Laden mit riesigen Fensterscheiben. Mein Spiegelbild reflektiert sich im Ausstellungsfenster. Anstatt einer Jeans und eines T-Shirts habe ich auf einmal ein langes, schlaffes Kleid an. Und meine Haare sind auch weg. Abgeschnippelt bis zum Kinn. Ich kann nicht mehr. Was ist hier überhaupt los? Ich fange an zu weinen.
Meine Tränen werden immer mehr und mehr. Sie kullern mein Gesicht hinunter. Der Wind bläst und die Kälte sickert bis in meine Knochen. Ich stolpere in eine kleine Gasse zwischen zwei großen Gebäuden. Es riecht zwar nach verdorbenem Essen, aber zumindest bin ich hier vom Wind geschützt. Leise weine ich weiter und versuche, mich in die Wand zu versenken.
„Kann ich Ihnen helfen, Fräulein?“, fragt eine zitternde Stimme hinter mir. Eine alte Frau humpelt aus den Schatten der Mauern und bietet mir ihre dunkelrote Strickjacke an. Dankbar ziehe ich sie an. Die
Frau sieht alt aus mit ihrem gebückten Rücken und ihren vielen Falten. Aber ihre Augen leuchten voller Leben. Mit einer kleinen Handbewegung bittet sie mich nach hinten in die Gasse. Sie bringt mich zu einer kleinen Hütte aus Holzbrettern. Innendrin ist ein klappriger Kessel über einem Feuer aufgesetzt.
„Tee?“, die Frau bietet mir eine Tasse an.
„Ja“, sage ich zufrieden.
Ich fühle mich direkt gestärkt. Der heiße Tee und die Strickjacke wärmen mich sofort auf.
„Wo bin ich?“, frage ich.
„Wir sind in Berlin, Mädel“, sagt die alte Stimme.
„Was?“, frage ich erstaunt. Langsam wird es mir klar.
„Ich bin in der Zeit gereist!“, rufe ich voller Entsetzen.
Die Frau guckt mich mit großen Augen an. „So was habe ich noch nie gehört! Jetzt nicht und auf gar keinen Fall vor der Pandemie. Die Leute heutzutage. Mit ihren verrückten Ideen und…“
„Was, ihr hattet eine Pandemie!?“, unterbreche ich sie verwundert.
„Ja, die Spanische Grippe. Ein scheußliches Ding. Wir Alten wurden verschont. Hat nur die jungen Leute getroffen“, sagt sie fast beiläufig.
„Wir haben gerade auch eine Pandemie. Bei uns ist es Corona. Zum Glück können wir wieder aus der Stube hinaus. Lange Zeiten mussten wir in Quarantäne alleine Zuhause sitzen.“ Ich erinnere mich an die Zeit Zuhause zurück. An das langweilige Rumsitzen und die Klopapierknappheit. Was für wilde Zeiten! Hoffentlich liegen sie jetzt hinter uns!
Die alte Frau unterbricht meine Gedanken. „Du bist also wirklich in der Zeit gereist?“
„Ja. Ich glaube schon. Ehrlich gesagt will ich nur nach Hause.“ Ich merke zum ersten Mal, wie ich richtig Sehnsucht habe, zurück in mein Leben zu kommen. Während Covid fühlte sich alles immer langweilig an. Auch jetzt, wo die Pandemie fast wieder vorbei ist, ist alles irgendwie komisch. Verändert.
Die Nacht ist noch jung, aber ich werde langsam müde. Als ich einen großen Gähner rauslasse, ist es offensichtlich.
„Willst du bei mir übernachten?“, fragt die Frau. „Ich weiß, es ist nicht viel, aber zumindest bist du vor dem Wind geschützt.“
„Das wäre wunderbar“, antworte ich. Die Dame führt mich zu ihrer Matratze. Sie holt eine große Decke mit der sie mich zudeckt.
„Wo schläfst du?“, frage ich besorgt.
„Oh, ich muss eh noch etwas erledigen“, antwortet sie mit einem vieldeutigen Lächeln. „Schlaf gut!“
Meine Augen fallen sofort vor Erschöpfung zu. Bald bin ich schon im Traumland.
Die Sonne kitzelt meine Nase. Kühle Luft bläst über mich. Ich schaue hinauf. Der Himmel ist voller Farben. Dämmerung. Langsam stütze ich mich auf.
„Was für ein verrückter Traum“, denk ich mir.
Zufrieden gucke ich hinunter auf diese wunderschöne Stadt. Rötlich schimmernd im Nebel. Erst als ein kleiner kühler Windstoß über mich bläst merke ich die rote Strickjacke, die mich umhüllt.

Außer Konkurrenz von einer gelegentlichen freien Mitarbeiterin der Nachrichtenagentur INPUT-Medien