zurück 
15.03.2022

Aktualisiert: www.albertinum-gerolstein.de - Abschlussbericht über Gewalt am katholischen Internat Albertinum in Gerolstein ist veröffentlicht

Gerolstein/Trier (red) Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt, ausgeübt von den drei Direktoren Karl Pfeiffer, Georg Jutz und Erwin Puhl, aber auch von ihren Mitarbeitern, war für viele Schüler

des ehemaligen Bischöflichen Internats „Albertinum“ in Gerolstein zwischen 1946 bis zur Schließung des Hauses 1983 an der Tagesordnung. Diese traumatischen Kindheitserlebnisse haben für viele der Betroffenen bis heute nachhaltige Beeinträchtigungen zur Folge: psychisch belastende Erinnerungen, psychosomatische Folgen oder negative Auswirkungen auf das eigene Körpergefühl und die Sexualität sind nur einige davon. Zu diesem Ergebnis kommt der Abschlussbericht des Aufarbeitungsprojektes, den die Projektleiterinnen Professorin Claudia Bundschuh und Dr. Bettina Janssen am 11. Februar vor Betroffenen und in der Öffentlichkeit vorstellten.

Der 137 Seiten umfassende Bericht stellt die Schilderungen von 54 ehemaligen Schülern in den Mittelpunkt und zeichnet, auch durch einen Blick in die Geschichte des Hauses und das damalige Umfeld insgesamt, ein deutliches Bild von den Gewalterfahrungen der Jungen. „Wir erfahren hier von körperlicher Gewalt, die ganz überwiegend als Misshandlung von Kindern einzustufen ist“, erläuterte Projektleiterin Bundschuh. „Von allen drei Leitern des Internats, die Priester waren, sowie einem weltlichen Mitarbeiter, wurde auch sexualisierte Gewalt verübt. Und auch psychische Gewalt war für viele an der Tagesordnung - daran lassen die Schilderungen kein Zweifel.“ Auch zwischen den Schülern sei es zu Gewalt gekommen, berichtete Bundschuh.

Der Abschlussbericht ordnet die Gewalterfahrungen ein: Gesellschaftlich und historisch, aber auch soziologisch: „Beim Albertinum können wir von einem klassischen geschlossenen System sprechen“, charakterisierte Bundschuh. Manchen Schülern sei nicht geglaubt worden, wenn sie zuhause von Schlägen berichtet hätten, andere hätten hören müssen, sie hätten es dann sicher auch verdient. „Von der sexuellen Gewalt durch die Priester konnte ohnehin kaum jemand sprechen, die Betroffenen konnten aufgrund der Tabuisierung von Sexualität und sexuellem Kindesmissbrauch gar nicht einordnen, was ihnen passiert und wussten, dass sie als Lügner bezichtigt und massiv bestraft werden würden bei Offenlegung ihrer Gewalterfahrungen.“

Projektleiterin Janssen hat unter anderem auch die vorhandenen Akten analysiert, zu denen das Bistum Trier als Auftraggeberin uneingeschränkten Zugang gewährt hatte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das Bistum als Trägerin dem Internat keine hohe Aufmerksamkeit geschenkt hat: „Weder wurden besondere fachliche Kriterien bei der Auswahl der priesterlichen Leiter oder des Personals angelegt noch gab es bei durchaus vorhandenen Überlastungsanzeigen Abhilfe.“ Dass Verantwortliche aus dem Bischöflichen Generalvikariat das Internat besucht hätten, sei eine seltene Ausnahme gewesen. „Es gibt hauptsächlich schriftliche Kommunikation zu finanziellen Angelegenheiten und später auch über die unzureichende Personalsituation, mehr aber nicht“, bescheinigte Janssen den heute Verantwortlichen. „Und so waren die Beschäftigten dort in ihrem geschlossenen System vom Bistum weitestgehend unbeaufsichtigt und vor einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer gewaltbehafteten Praxis geschützt.“

Das Aufarbeitungsprojekt, das bereits im Oktober 2019 vor der Vereinbarung der Bistümer mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs gestartet war, entspricht den Kriterien einer unabhängigen Aufarbeitung. Denn das wichtigste Kriterium danach ist die Mitarbeit von Betroffenen. Und so arbeiteten im Lenkungsausschuss mit Werner Schenk, Rainer Reimold und Karl-Heinz Prinz auch drei Betroffene mit, je einer aus der Amtszeit der drei Direktoren. Schenk betonte, durch das Projekt seien „viele Geschehnisse und Wahrheiten“ ans Licht gekommen. „Es war wichtig, mit den Betroffenen über diese Zeit zu reden, denn ich spürte, dass der Bedarf nach einem Gespräch mit der Projektleitung sehr groß war. Gespannt bin ich auch auf die Konsequenzen, welche die Betroffenen betreffen.“ Daher finden sich im Abschlussbericht auch Wünsche und Erwartungen der ehemaligen Schüler: Neben der Konfrontation und Bestrafung der Beschuldigten, die nicht mehr möglich ist, weil diese verstorben sind, erwarten sie vor allem eine ehrliche Anerkennung ihres Leids und eine authentische Entschuldigung der heute Verantwortlichen. Sie fordern, die unterschiedliche Bewertung der Gewaltformen zu beenden und hoffen durch ihr öffentliches Zeugnis auf eine Sensibilisierung der Bevölkerung für die Gewalterfahrungen.

Lothar Schömann stellte die Empfehlungen des Lenkungsausschusses an das Bistum vor. Neben einem „Betroffenenblick“, wenn es um die Verfahrensdauer bei der Bearbeitung von Missbrauchsfällen gehe, brauche es eine „vorbehaltlose Hinwendung zu den Betroffenen ideell und materiell“. Es dürfe nicht länger um den Schutz der Institution gehen, die Verantwortlichen für die konkreten Taten müssten ebenso benannt werden wie die Verantwortung des Trägers. Schömann betonte auch, dass die vorliegenden Schutzkonzepte nicht nur „als Hochglanzbroschüren“ daherkommen dürften, sondern achtsam und wertschätzend gegenüber jungen Menschen gelebt werden müssten.

Der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann sagte gegenüber den ehemaligen Internatsschülern, es sei richtig und wichtig, dass diese dunkle Seite des Albertinums nun öffentlich sei und die Täter beim Namen genannt würden. „Ich bitte Sie in meiner Verantwortung als der amtierende Bischof von Trier ausdrücklich um Verzeihung für das, was Ihnen an Schmerz in einer Institution des Bistums zugefügt worden ist.“ Es beschäme ihn, dass Kindern und Jugendlichen dies widerfahren sei „in einer Einrichtung des Bistums, die dazu gedacht war, Kindern und Jugendlichen einen Ort zu bieten, der sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und ihnen gute Chancen für ihre Zukunft öffnen sollte“. Stattdessen hätten Schüler das Gegenteil erlebt. „Dabei traf es vor allem – auch das zeigt der Bericht – die besonders Verletzlichen unter ihnen.“

Besonders alarmierend und für die Zukunft wichtig aus institutioneller Sicht sei die Tatsache, dass „sich die Geschichte dieses Hauses faktisch von seinem Anfang bis kurz vor Schließung zeigt als eine ununterbrochene Geschichte verschiedener Formen von Gewalt“. Zudem könne man am Beispiel des Albertinums sehen, „dass und wie Bistumsverantwortliche sich auch dann schuldig machen, selbst wenn sie nicht aktiv vertuschen, sondern in der Führung von Bistumseinrichtungen nachlässig sind“. Er sagte den ehemaligen Schülern wie dem Lenkungsausschuss zu, den Bericht an die bischöfliche Behörde weiterzuleiten mit dem Auftrag zu überprüfen, ob und wo heute möglicherweise vergleichbare Lücken bestehen in Bereichen, „in denen wir die Aufsicht wahrzunehmen haben, um diese dann so weiterzuentwickeln, dass sie dem Dienst am Wohl der uns anvertrauten Menschen entsprechen kann“. Gerne stehe er unterstützend zur Seite, wenn Betroffene sich vernetzen wollten. Die Unterstützungsangebote und Informationen rund um das Themenfeld Kinder- und Jugendschutz sollen mithilfe des Betroffenenbeirats im Bistum überprüft werden. Und nicht zuletzt griff Ackermann die Forderung nach einer materiellen Anerkennung der erlittenen Gewalt auf: „Hierzu würde ich gerne mit Vertretern der Betroffenen selbst ins Gespräch kommen, um darüber nachzudenken, wie eine angemessene Lösung diesbezüglich aussehen könnte. Der Bericht hält ja fest, dass das Albertinum typische Merkmale eines sogenannten geschlossenen sozialen Systems aufwies. Insofern scheint mir hier eine einrichtungsspezifische Lösung angemessen, die nicht nur die sexualisierte Gewalt berücksichtigt.“

Der Abschlussbericht des Projektes „Gewalt am bischöflichen Internat Albertinum Gerolstein – Aufarbeitung mit und für Betroffene“ sowie die Stellungnahme von Bischof Ackermann im Wortlaut sind unter www.albertinum-gerolstein.de verfügbar.

Presse BIP

(mehr siehe SWR-Text 136 - Banner rechte Spalte)


Foto Stefan Weinert/Bistum Trier: Die beiden Projektleiterinnen Dr. Bettina Janssen (Mitte) und Professorin Claudia Bundschuh (rechts). Links Pressesprecherin Judith Rupp


Archivfoto INPUT-Medien: Marzellus Boos bei einem früheren Besuch in der INPUT-Redaktion

Der frühere Lehrer am Regino-Gymnasium Prüm, Marzellus Boos aus Ormont (Vulkaneifelkreis), hatte zusammen mit seinem mittlerweile verstorbenen Bruder Lothar über neun Jahre im Bischöflichen Internat Albertinum (von den Schülern "Der Knast" genannt) viele Leiden am eigenen Leib erlebt und bei anderen beobachtet. "Einzelhaft" und Prügel für kleinste Vergehen seien an der Tagesordnung gewesen.
Der Hobby-Schriftsteller und Imker (siehe weiteren Bericht), der heute in der Nordeifel lebt, schreibt zurzeit an einem Buch über die traumatischen psychischen, physischen und sexuellen Missbrauchs-Erfahrungen aus der Zeit im Internat Albertinum.

INPUT-Talk: Interview folgt

Fortsetzung folgt