zurück 
15.07.2024

Archivbericht: Vor 75 Jahren ereignete sich die Explosionskatastrophe auf dem Prümer Kalvarienberg und forderte 12 Tote und 60 Verletzte - mit Zeitungsausschnitten, Fotos und Augenzeugenberichten

Prüm (boß) Der »Schwarze Freitag« von Prüm wird unvergessen bleiben. Vor 75 Jahren, am 15. Juli 1949 gegen 20.20 Uhr, explodierten im Stollensystem auf dem 569 m hohen Kalvarienberg 500 Tonnen Sprengmunition.

Sie verwandelten innerhalb von Sekunden die nach Kriegszerstörung im Aufbau befindliche Stadt in ein Trümmerfeld. Traurige Bilanz: 12 Tote, 60 Verletzte, 237 zerstörte bzw. beschädigte Häuser und rund 1000 Obdachlose.
Das tragische Ereignis brachte das Eifelstädtchen europaweit in die Schlagzeilen der Medien Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen. Nicht auszudenken jedoch, was passiert wäre, wenn die örtliche Gendarmerie nicht vorausschauend beim ersten Anzeichen eines Stollenbrandes ca. eine Stunde vor der großen Explosion die Bevölkerung gewarnt und die Stadt rechtzeitig evakuiert hätte. Allerdings kamen nicht alle der Aufforderung zur Räumung nach.
Sage und schreibe 250 000 cbm Schuttmassen wurden in die Luft geschleudert und verdunkelten die Stadt für 20 Minuten. Feinster Staub ging noch in der 20 Kilometer entfernten Stadt Gerolstein nieder. Die Detonation wurde sogar in Trier und Koblenz gehört, und die Erdbebenwarte in Stuttgart registrierte die Erschütterungen.
Die Katastrophe von Prüm hatte eine große Hilfswelle in der gesamten Region und im benachbarten Belgien und Luxemburg ausgelöst. Insgesamt 3,7 Mio. Mark wurden an die Geschädigten ausgezahlt, die teilweise Hab und Gut verloren hatten und vor dem Nichts standen. Dies geschah nur vier Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, wo unter der Bevölkerung noch große Armut herrschte, die Stadt im Wiederaufbau war und die Wunden noch nicht verheilt waren. 
Die Toten wurden durch ein Staatsbegräbnis mit dem Trierer Erzbischof Dr. Franz Rudolf Bornewasser und dem damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Peter Altmeier geehrt.
Ob der Vorfall in dem französischen Munitionsbunker ein Unglücksfall oder Sabotage war, ist bis zum heutigen Tage nicht geklärt. Seinerzeit wurde der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping bei einem Besuch der Nachrichtenagentur INPUT-Medien in Prüm gebeten, dem ungelösten Fall in Frankreich nachzugehen. Auch diese Recherchen auf höchster Ebene verliefen ohne greifbares Ergebnis. Schon lange vor der Katastrophe hatten die Einwohner und Behörden von Prüm bei der französischen Besatzungsmacht reklamiert, dass die Lagerung von über 500 Tonnen Sprengstoff eine große Gefahr für die Bevölkerung bedeute.
Die beiden 100 und 60 Meter langen und 4,30 Meter breiten, zusammenhängenden Stollen waren 1939 für den Westwall gebaut worden. Nach Kriegsende wurde hier Sprengstoff eingelagert, um die Westwall-Bunker im Grenzland wieder zu sprengen.
Über dem großen und teils bewachsenen Krater erhebt sich heute ein hohes steinernes Mahnkreuz mit der Aufschrift »Diene der Versöhnung und dem Frieden - zur Erinnerung an die Explosionskatastrophe am 15. Juli 1949«.
Mittlerweile hat sich der Prümer Kalvarienberg mit einem Krankenhaus, einem Begräbniswald, einem Kreuzweg mit Kapelle und einer Parkanlage mit Kinderspielplatz in der 6.000 Einwohner großen Waldstadt zu einem Ort der Ruhe und Besinnung entwickelt.
Wie Leserinnen und Leser der Redaktion berichteten, soll am Montagabend, 15.07.2024 - 19 Uhr, eine Gedenkfeier mit Zeitzeugen-Ansprachen in der Basilika stattfinden. Außerdem können sich auch Bürgerinnen und Bürger zum Gedenken am Kreuz auf dem Kalvarienberg oder im Krater einfinden.

Heinz Günter Boßmann


Fotoarchiv Langzauner: Teilansicht Krater auf dem Kalvarienberg nach der Explosionskatastrophe


Foto Jana Bierther: 75 Jahre später ist das Riesenloch fast zugewachsen

Der Kalvarienberg erinnert sich: Auszug und Ergänzungen aus einer Hinweistafel auf dem Kalvarienberg
„Ja, die Explosionskatastrophe hat ein großes Loch aus mir herausgerissen. Einer der größten von Menschenhand verursachten Krater ist in mir entstanden.
Es begann alles Anfang des zweiten Weltkrieges 1939. Im Zuge des Westwallbaus wurden zwei 60 und 100 Meter lange Stollen rund 30 Meter tief unter meinem Gipfel gebohrt. 
Ab 1947 hatte man hier unter der französischen Besatzung 500 Tonnen Sprengstoff gelagert, mit denen die Reste des Westwalls zerstört werden sollten.
Insbesondere den Prümer Bürgern war es bewusst, da sie täglich die Transporte miterlebten, dass bei einem Feuer hier eine Katastrophe ausbrechen würde. Die Sicherheitskräfte waren im Unterbewussten darauf vorbereitet.
Und so kam es dann auch am 15. Juli 1949. Um genau 18.20 Uhr bemerkte ein Wachmann Qualm aus einem Luftschacht. Kurz darauf hallte das Brandglöckchen durch die Abteistadt. Löschversuche der Feuerwehr scheiterten, und schließlich wurden die Wehrkräfte rechtzeitig vor der Detonation abgezogen.
Der größte Teil der Bevölkerung konnte evakuiert werden.
Um 20.20 Uhr war es soweit. Eine gewaltige Detonation erschütterte mich bis ins Mark. Es war, als breche die Hölle auf mit ohrenbetäubendem Krachen. Eine etwa 2.000 Meter hohe, pilzförmige Feuer- und Staubsäule stieg über mir empor. 250.000 cbm Steine, Erde und Bautrümmer wurden aus mir herausgerissen und hagelten auf Prüm hinab. Minutenlang war es finster um mich. Und an keinem Baum war mehr ein Blatt zu sehen.
Bis heute ist die Wunde auf meinem Haupte nicht verheilt. Ich bin mittlerweile zugewachsen, so dass man das Ausmaß des Kraters nicht mehr sehen kann. Über mir wacht ein Basaltkreuz, das zu Frieden und Versöhnung aufruft.“

Fotogalerie

             
Foto Fredy Lange             Archiv Roland Münz         Archiv Monika Rolef

            
Archivfotos Monika Rolef                                       Archiv Faas

Privatarchiv Jens Sternkopf:
Die Rhein-Zeitung berichtete am Montag, dem 18. Juli 1949, mit großen Lettern über zwei Seiten von der Katastrophe in Prüm

   

        

       

 

     

      

 

Zeitzeugenberichte

Monika Rolef aus Prüm, damals 9 Jahre alt:
„Es war ein heißer Sommertag – etwas wie jetzt – 37 Grad, als wir vom Beerensuchen Richtung Prüm gingen und mit dem Satz erschreckt wurden ‚De Bunker op dem Kalleberrisch brennt’. Das versetzte mich in Angst und Schrecken, denn damals wusste fast jedes Kind, dass dort viel Munition gelagert war. Wir wurden dann bis nach Schönecken auf die Burg evakuiert und sahen dort etwa gegen 20 Uhr, wie der Kalvarienberg abhob und Prüm in Schutt und Asche legte. Kein Ereignis in meinem Leben“, so die heute 70-jährige Prümer Kirchenführerin, „ist mir deutlicher im Gedächtnis geblieben als der Tag, als der Westwallbunker-Stollen in die Luft flog! Durch das Einatmen des schweren roten Sandes wurde mein Vater, der noch Menschen aus der Stadt rettete, schwer krank und sein Leben war ruiniert.“

Die damals 5-jährige Irmburg Irsch (Schaus) aus Waxweiler:
Wir waren an dem Tag in Prüm. Meine Mutter stammte von da. Ihr Haus war im Krieg zerstört worden, aber sie hatte in der Steinkaul noch einen Garten, in dem wir Johannisbeeren ernteten. Als wir am Spätnachmittag mit dem Bus heim nach Waxweiler fuhren, begann gerade die Evakuierung. Aber keiner wusste so richtig Bescheid und das kleine Wölkchen über dem Kallenberg sah auch nicht so bedrohlich aus. Nur unser Vater machte einen sehr nachdenklichen Eindruck. Am Abend saßen wir zu Hause im Garten und bearbeiteten die Ernte des Tages, als man in der Ferne ein unheimliches Geräusch, ein Dröhnen und Hollern vernahm. "Wenn es das ist, was ich befürchte, dann gnade Gott den Prümern!" Diese Worte unseres Vaters höre ich heute noch.

Jo Kohn - heute Luxemburg:
Das habe ich als Kleinkind erlebt. Wir wohnten in der Spiegelstraße. Ich erzählte noch Jahre später, dass auf dem Kalvarienberg die Hölle aufgegangen war. Der Teufel stand dort und bewarf Prüm mit großen Steinbrocken. Lastwagen fuhren vor und brachten uns fort. Eines Tages stellte meine Tante fest, dass ich wohl von der Explosionskatastrophe sprach.

Julia Peter vom Restaurant Kölner Hof:
Meine Mutter erzählte mir: Am 15. 7., Namenstag "Heinrich", wurde dieser mit einigen Heinrichen in der Wirtschaft Kölner-Hof gefeiert. Einige Bierchen wurden auf Heinrich getrunken. Es war wohl ein heißer Sommertag und die Fenster im Lokal standen auf. Einer lief vorbei, steckte den Kopf durchs Fenster und rief: "Schnell, schnell, packt alles zusammen und lauft aus Prüm raus, der Bunker brennt, der Bunker brennt!" Die Firma Nahrings (ein Heinrich dabei) hatte einen LKW. Sie haben die Menschen dann so schnell wie nur möglich aus Prüm raus gefahren. Denke es sind so einige Leben gerettet worden.

Leserbrief von Rita Schröder aus Walcherath bei Prüm:
Ich war 2 1/2 Jahre alt, da ereignete sich die Explosionskatastrophe auf dem ,,Kallebersch. Meine Mama hatte Pudding gekocht und zum Abkühlen draußen auf die Fensterbank gestellt. Es muss schon Stunden vorher gegrummelt haben, als dann abends die Explosion war. Viele dachten ",Gas". Meine Mama hob - ich hatte den Eindruck schmiss - mich auf einen Lkw. Eine Wolldecke flog nach. Auf dem Lkw saß meine Tante vom Westerwald. Der Lkw war von Herrn Benzrath. Ich konnte das nachher noch erzählen. Es war ein Erlebnis, das sich einprägte. Meine Mama und mein Opa, Peter Büchel , legten sich mit einem nassen Tuch vor dem Mund in den Straßengraben. Ich denke, wir fuhren nur bis zur Schneifel, aber für mich war das sehr weit, und noch dazu ohne Mama. Komisch, dass ich mich daran erinnern kann. Es war ein einschneidendes Erlebnis. Wochen- und monatelang aßen wir den Sand noch mit im Salat, Gemüse usw.
Mein Mann, Karl Schröder, erzählte, dass einer der Wachmänner oder Soldaten, der hier im Hause Unterkunft bekommen hatte, gesagt habe: "Wenn das, was da reingefahren wird, in die Luft fliegt, ist Prüm weg."

Der Autor Heinz-Günter Boßmann, geb. 1950, erinnert sich:
„Das Thema Explosionskatastrophe war in unserer Familie ständig präsent. Meine Eltern kamen 1947 bzw. 1948 berufsbedingt mit meiner Schwester von Koblenz nach Prüm. Die Familie bezog in der Kalvarienbergstraße 8 oberhalb des damaligen Landratsamtes und gegenüber der heutigen Karolingerhalle eine Dienstwohnung auf der unteren Etage. Hier verbrachte ich meine ersten sechs Lebensjahre.
Der 15. Juli sollte damals als Namenstag meines Vaters Heinrich zum ersten Mal seit dem Krieg friedlich im Kreise von Verwandten gefeiert werden. Der Tisch war mit Blumen geschmückt und ein „üppiges Abendessen“ war in Vorbereitung.
Dann um 19 Uhr an dem heißen Sommerabend Besuch von der Gendarmerie mit der Bitte, Prüm sofort zu verlassen, da der Explosionsbunker auf dem Kalvarienberg brenne.
Aufgrund der Windverhältnisse entschloss sich mein Vater, mit seiner Namenstagsgesellschaft ins Kloster nach Niederprüm zu flüchten. Von hier aus konnten sie in panischer Angst die gewaltige Explosion des Stollen-Bunkers genau beobachten und die Eruption der riesigen Schuttmassen miterleben. Die Stadt verdunkelte sich zusehends für viele Minuten.
Noch am Abend kehrten sie in ihre Wohnung zurück und sahen das beschädigte Haus, da am Dach Geröllmassen ein Loch eingeschlagen hatten. Ein dicker Felsbrocken war durch das Dach und die Zwischendecke bis auf den Esstisch geprallt. An Namenstag war natürlich nicht mehr zu denken, da es sofort mit den Aufräumarbeiten losging.
Durch die schwere Trümmerarbeit und den Schock erlitt meine Mutter in der Folge eine Fehlgeburt. Auch alle anderen Beteiligten hatten lebenslag traumatische Erinnerungen an die Explosionskatastrophe von Prüm.“