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19.10.2020

Mammutprozess wegen der Bildung krimineller Vereinigungen im ehemaligen Bundeswehrbunker in Traben-Trarbach gestartet

Trier/Traben-Trarbach/Koblenz (red/boß) Am 19.10.2020 um 9 Uhr begann vor der großen Jugendkammer des Landgerichts Trier ein Prozess gegen acht Angeklagte aus den Niederlanden (4), Deutschland (3)

und Bulgarien (1) unter anderem wegen der Bildung krimineller Vereinigungen in der größtenteils unterirdischen Bunkeranlage auf dem Berg Montreal bei Traben-Trarbach.
Insgesamt sind 18 Anwälte aus den verschiedensten Teilen Deutschlands zugelassen, und der Prozess ist bis zum 31.12.2021 überwiegend auf montags und donnerstags terminiert.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz legte seinerzeit in einer Anklageschrift den Angeklagten, bei denen es sich um vier Niederländer im Alter von 25, 34, 50 und 60 Jahren, drei Deutsche im Alter von 21, 24 und 53 Jahren und einen Bulgaren im Alter von 40 Jahren handelt, im Kern zur Last, dass sie in einem Tatzeitraum zwischen Juni 2013 bis September 2019 eine kriminelle Vereinigung gegründet bzw. sich an dieser beteiligt haben. In wechselnder Beteiligung sollen sie Beihilfe zu mehr als 249.000 Straftaten unterschiedlicher Art geleistet haben, hauptsächlich unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln. Soweit es den Tatkomplex um das Mirai-Botnetz betrifft, lautet der Tatvorwurf Beihilfe zur versuchten Computersabotage.

Dabei soll der Angeklagte J. seine Taten als Heranwachsender und der Angeklagte Y. O. einen Teil seiner Taten als Heranwachsender begangen haben.
Auf Grundlage der durch das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz geführten Ermittlungen geht die Generalstaatsanwaltschaft von folgendem Sachverhalt aus:
Der Angeklagte X. habe im Jahr 2013 über eine von ihm gegründete niederländische Stiftung eine vormals von der Bundeswehr genutzte, größtenteils unterirdische Bunkeranlage in Traben-Trarbach erworben. In dieser habe er gemeinsam mit der Angeklagten B. und den beiden Angeklagten X. O. und Y. O. ein Rechenzentrum für illegale Zwecke, einen so genannten „Bulletproof-Host“ betrieben. Gegenstand des Geschäftsbetriebes sei gewesen, den Kunden des „Cyberbunkers“ gegen Entgelt für deren illegale Internetaktivitäten z. B. Drogenmärkte im Darknet oder Botnetze ein vor dem Zugriff von Strafverfolgungsbehörden sicheres Datenzentrum zur Verfügung zu stellen. Die weiteren Angeklagten seien im Frühjahr 2014 beziehungsweise Anfang 2018 zu der Tätergruppe hinzugestoßen.
Unter den Angeklagten habe es eine feste Rollenverteilung mit eindeutig definierten Aufgaben gegeben. Der Angeklagte X. sei Kopf der Gruppe gewesen und habe alle geschäftlichen Entscheidung getroffen. Der Angeklagte R. habe als eine Art Manager fungiert, der für die Verteilung der Arbeitsaufgaben unter den übrigen Angeklagten zuständig gewesen sei. Der Angeklagten B. habe die Buchhaltung und die Kontrolle des Zahlungsverkehrs mit den Kunden oblegen. Die übrigen Angeklagten seien als Administratoren tätig gewesen, hätten für die Abwicklung der Kundenaufträge in technischer Hinsicht gesorgt und die IT-Infrastruktur aufrechterhalten.
Im Rahmen dieser kriminellen Vereinigung sollen die Angeklagten in wechselnder Beteiligung die nachfolgend genannten Internetseiten bzw. Services gehostet und dadurch Beihilfe zu den von ihren Kunden begangenen Straftaten geleistet haben:

1. In der Zeit von Anfang 2014 bis zur Abschaltung der Website am 02.10.2014 hätten die Angeklagten den Darknet-Markplatz „Cannabis Road“ gehostet. In diesem Tatzeitraum seien über den Marktplatz insgesamt rund 28 kg Cannabisprodukte in 3.955 Einzelverkäufen umgesetzt worden.

2. In der Zeit vom 05.10.2016 bis zum 06.05.2019 hätten die Angeklagten den Darknet-Markplatz „Wall Street Market“ gehostet, eine Verkaufsplattform für überwiegend verbotene Güter wie Betäubungsmittel, gefälschte Dokumente, Malware, illegal erlangte Zugangsdaten zu Packstationen, PayPal-Konten sowie illegal erlangte Kreditkarten. Im Tatzeitraum seien über diesen – seinerzeit weltweit zweitgrößten – Marktplatz in 239.617 Einzelfällen Betäubungsmittel im Wert von über 36 Millionen Euro verkauft worden; dabei seien mindestens 2,6 Tonnen Marihuana, 138 kg Haschisch, 238 kg MDMA, 692.772 Ecstasy-Pillen, 16 kg Heroin, 160 kg Kokain, 68 kg Methamphetamin, eine 3/4 Tonne Amphetamin und 362.735 LSD-Trips umgesetzt worden.

3. In der Zeit von März 2016 bis Februar 2018 hätten die Angeklagten das Underground-Economy-Forum „Fraudsters“ gehostet, über das verschiedene illegale Güter, Daten und Dienstleistungen gehandelt worden seien. Im Tatzeitraum seien über das Forum mindestens die folgenden Einzeltaten begangen worden:
a) Inverkehrbringen von Falschgeld in 34 Fällen
b) Datenhehlerei in 537 Fällen
c) Sichverschaffen eines Gegenstandes, der aus einem gewerbsmäßigen Computerbetrug herrührt, in 172 Fällen
d) Gewerbsmäßiges Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen in 51 Fällen
e) Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 326 Fällen, teils in nicht geringer Menge
f) Unerlaubtes Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in 13 Fällen

4. In der Zeit vom 19.03.2015 bis zum 14.10.2018 hätten die Angeklagten den Darknet-Marktplatz „Flugsvamp“ gehostet, bei dem es sich um den größten schwedischen Marktplatz für den Handel mit illegalen Betäubungsmitteln und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gehandelt habe. In einem Zeitraum von April 2015 bis September 2018 seien in mehr als 300.000 Einzelfällen Drogen und verschreibungspflichtige Arzneimittel mit einem Gesamtwert von 30 bis 40 Millionen Euro umgesetzt worden. Den Angeklagten wird insoweit Beihilfe zu 4.481 Fällen des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und zu 141 Fällen des unerlaubten Handels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur Last gelegt.

5. In der Zeit von Juli 2016 bis März 2018 hätten die Angeklagten die Internet-Handelsplattformen www.orangechemicals.com, www.acechemstore.com und www.lifestylepharma.com gehostet, die dem Vertrieb von Betäubungsmitteln und synthetischen Drogen gedient hätten. Die Substanzen hätten die Betreiber der Webseiten in China beschafft und anschließend aus den Niederlanden europaweit veräußert. In fünf Fällen konnten aus China kommende Lieferungen im Kilogramm-Bereich in Deutschland sichergestellt werden, in weiteren 43 Fällen konnten aus den Niederlanden an deutsche Endabnehmer gesendete Betäubungsmittel auf dem Postweg sichergestellt werden.

6. Am 18.06.2019 habe das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz auf dem Server der Angeklagten die URL cb3rob.org/Darknet festgestellt, auf der 6.581 Darknet-Webseiten aufgelistet gewesen seien. Bei diesen verlinkten Seiten habe es sich um betrügerische Bitcoin-Lotterien, Darknet-Marktplätze für Betäubungsmittel, Waffen, Falschgeld, Mordaufträge und Kinderpornographie gehandelt.

7. Das sog. Mirai-Botnetz, durch das im November 2016 ein groß angelegter Angriff auf Router der Deutschen Telekom AG erfolgte, sei über 6 sogenannte „Command-and-Control“-Server gesteuert worden, die ihrerseits im Rechenzentrum der Angeklagten gehostet worden seien.

Die Angeklagten befinden sich bis auf den Angeklagten J. seit dem 26.09.2019 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Presse Staatsanwaltschaft Koblenz