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28.05.2020

Es ist 100 Jahre her - am 29. Mai 1920 explodierte die Munitionsfabrik ESPAGIT in Hallschlag.

Hallschlag/Kehr (boß) Ein 100-jähriges Jubiläum mit Sprengstoff. Kein Ereignis hatte das Archiv der Nachrichtenagentur INPUT-Medien so gefüllt, wie die Sanierung der Altlast der ehemaligen Munitionsfabrik ESPAGIT in Hallschlag von 1990 bis 2008.

Unzählige Pressemitteilungen, Ortstermine, Interviews, Hintergrundgespräche, Recherchen und Pressekonferenzen füllten die Aktenordner. Was war geschehen?

Am 29.05.1920 gegen 15 Uhr explodierte nach einem Brand das 1915 gebaute Sprengstoffwerk für Dynamit, Sicherheitssprengstoffe und Munition in Hallschlag. Dabei wurde die Fabrik nahezu völlig zerstört und auch in den umliegenden Ortschaften gab es schwere Gebäudeschäden.
Außer einem Arbeiter, der außerhalb des Werkes von Granatsplittern tödlich verletzt wurde, waren Personenschäden nicht zu beklagen. Allerdings berichteten Jahrzehnte später noch Augenzeugen, dass manche Bewohner aus Hallschlag und Umgebung gelb-grüne Haare hatten - und das ohne Färbemittel.

Ab dem Jahr 1991 führte das Land Rheinland-Pfalz bis etwa zum Jahr 2008 dort mit einem erheblichen finanziellen und technischen Aufwand umfangreiche Entmunitionierungs- und Sicherungsarbeiten durch. Kaum ein anderer Fall hatte damals auch die Bezirksregierung in Trier mit ihrem Kampfmittelräumdienst derart beschäftigt.
Vorher hatte der Umweltaktivist und Grünen-Kommunalpolitiker Gunther Heerwagen aus Birgel dort Munition - darunter auch Giftgasgranaten - gefunden und die Sache ins Rollen gebracht. Er machte es zu seiner Lebensaufgabe und hielt mit immer neuen Entdeckungen die Behörden auf Trab.

Bei  der Entmunitionierung wurden in den etwa 20 Jahren 6.316 Granaten – davon 506 mutmaßliche Giftgasgranaten – und zehn mit dem Reizstoff „Clark“ gefüllte Sprengkörper ausgebuddelt. Außerdem wurden mehr als fünf Tonnen Sprengstoff, über 36 Tonnen Zündladungen und 56 Tonnen Munitionsteile geborgen.
Im Anschluss daran wurde das Gelände durch eine Erdabdeckung und ein Drahtgeflecht gesichert, wodurch langfristig der direkt Kontakt zwischen dem belasteten Boden und Menschen verhindert werden sollte. Das Sickerwasser wird erfasst und dann in einer Wasserreinigungsanlage behandelt. Insgesamt schlug die Entmunitionierung mit einem Betrag von 54,3 Millionen Euro zu Buche, von denen der Bund als Kriegsfolgelast 50% übernahm.
Insgesamt sollen in dem Werk in den Jahren von 1915 bis 1920 rund 2.000 Menschen gearbeitet haben.
So schilderte der Bürgermeister von Schmidtheim am 1. Juni 1920 an den Landrat in Schleiden die Explosion in der Sprengstofffabrik Hallschlag:
„Am verflossenen Samstag gegen 3 Uhr nachmittags ist die Sprengstofffabrik in Hallschlag durch Explosion von Granaten, die dort entleert werden, in die Luft geflogen und durch nachfolgenden Brand vernichtet worden. Gestern Nachmittag habe ich an Ort und Stelle die Sache eingesehen.
Das weite Fabrikgelände ist ein rauchendes Trümmerfeld und bietet einen schauerlichen Anblick. Es stehen nur noch wenige Mauerreste. Die zahlreichen teuren Maschinen sind vernichtet. Kesselstücke von 15 bis 20 Zentnern Gewicht sind bis 300 Meter Entfernung fortgeschleudert worden. In der Wirtschaft Braun in Losheim, 3 1/2 Kilometer von der Fabrik entfernt, sitzt eine amerikanische 15 cm Granate oberhalb der Haustür in der Mauer; dieselbe ist glücklicherweise nicht krepiert. Die vom Werk etwas entfernt liegenden 20 Beamtenwohnungen sind größtenteils nicht mehr bewohnbar. Ca. 20 000 Zentner Kohlen und Briketts sind verbrannt bzw. stehen in Brand. In den Ortschaften Hallschlag und Ormont haben die meisten Häuser kleinere Dach- und Fensterschäden. Die 26 Häuser in dem hochgelegenen Dorfe Scheid sind sämtlich erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Die Dach- und Fensterschäden sind hier erheblich.
In den Orten Kronenburg und Kronenburgerhütte sind in etwa 15 Häusern Fensterscheiben eingedrückt worden. Es kommen etwa 20 Quadratmeter neue Scheiben ä 70 bis 1400 Mark in Betracht. Am Sonntag war eine Regierungskommission von Trier in Hallschlag. Ihnen haben die Geschädigten aus den umliegenden Orten die Schäden angemeldet.
Ein Arbeiter ist außerhalb des Werkes von einem Granatsplitter tödlich verletzt worden. Da auf das Notsignal hin die Leute das Firmengelände verlassen hatten, sind weitere Personenschäden nicht vorgekommen.“

Heinz-Günter Boßmann

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